Der neue Trend: Gendern. Ein ungewöhnliches Phänomen.
Aber was für manche nur seltsame Sonderzeichen wie _*/: sind, ist für andere ein Schritt zur Gleichberechtigung.
Die ganze Genderdebatte in der Sprache begann wegen des sogenannten „Generischen Maskulinums“.
Keine Angst! Das ist nur ein weiterer Begriff für uns Linguistik- und Latein-Nerds.
Es ist im Grunde genommen ganz einfach.
Dabei geht es um ein männliches (maskulines) Nomen oder Pronomen mit dem „sowohl männliche als auch nichtmännliche Personen gemeint sein sollen.“ 1 (Wikipedia, Abs. 1, Z. 3) Eigentlich. Denn da beginnt auch schon das Problem:
Viele „Nicht-Jungs“ (Mädchen, intergeschlechtliche Menschen,…) fühlen sich durch das Generische Maskulinum nicht angesprochen; sogar sprachlich ausgegrenzt.
Zum Beispiel: Wenn alle Schüler gesagt bekommen, dass sich ihre harte Arbeit bezahlt machen wird, fragen sich manche Schülerinnen, wofür sie das Ganze hier eigentlich machen.
Und Gendern bedeutet, dass man Alternativen sucht. Warum das sogar notwendig ist, erkläre ich gleich.
Bei gendergerechter Sprache benutzt man in diesem Beispiel die „Sonderzeichen“ – also „alle Schüler_innen“ oder „alle Schüler*innen“.
Genderneutrale Sprache wäre: „Die Lehrer versichern euch, dass…“. Man verzichtet also auf geschlechtsspezifische Bezeichnungen.
Die Genderdebatte in der Sprache ist besonders in Deutschland präsent. In englischsprachigen Ländern ist das Problem nicht so groß.
Denn im Englischen gibt es zum Beispiel nur „the student“. „The“ steht für der, die und das. „Student“ steht für Schüler und Schülerin. Gleiches im Plural. Es sind sogar intergeschlechtliche und auch alle anderen Menschen mit inbegriffen, denn dieses Wort hat nämlich erst gar kein grammatisches Geschlecht.
Also kann man sagen, dass die deutsche Sprache sich dieses sehr moderne Problem selbst auferlegt hat. Aber es ist längst nicht die einzige Veränderung unserer Sprache.
Wörter, wie „easy“ oder „tbh“ sind sogar für unsere Eltern noch ungewohnt und auch irgendwie unnötig. Dafür gäbe es schließlich auch deutsche Äquivalente.
Aber nein! Für uns haben diese englischen Begriffe einen Mehrwert. Für uns ist das normale Sprache. Wir haben diesen neuen Sprachstandard gesetzt und das können wir auch wieder tun.
Doch momentan ist es leider für viele noch unvorstellbar, etwas am Status Quo zu ändern.
Die Zeitung „Welt am Sonntag“ gab eine Umfrage in Auftrag, bei der 56% der Befragten angaben, dass sie das Gendern durch Sonderzeichen, wie den Gender-Gap (_) oder ein Binnen-I ( wie bei SchülerInnen) ablehnen.2 (Gaschke, Abs. 1)
Eine andere Umfrage von Januar 2019 unter ca. 5000 Deutschen ergab sogar, dass 48% der Befragten die Nutzung geschlechtsneutraler Sprachformulierungen nicht als eine sinnvolle Maßnahme zur Gleichstellung aller Geschlechter ansehen. 3 (Bebermeier)
Uff. Warum soll man dann überhaupt gendern, wenn bei so vielen Leute nicht mal die Bereitschaft dafür gegeben ist?
Ein Experiment der Freien Universität Berlin liefert die Antwort:
Es wurden fast sechshundert Kindern an den verschiedensten Grundschulen aus Deutschland und Belgien Berufsbezeichnungen entweder in geschlechtergerechter oder nur in männlicher Sprachform vorgelesen und anschließend sollten die Kinder die Berufe bewerten.
Wenn Berufe in einer geschlechtergerechten Sprache dargestellt wurden, also sowohl die männliche als auch die weibliche Form genannt wurde (Ingenieurinnen und Ingenieure statt nur Ingenieure), schätzten Kinder (also auch die Mädchen!) typisch männliche Berufe als erreichbarer ein und trauten sich selbst eher zu, diese zu ergreifen.4 (Vervecken und Hannover)
Sprache verändert Denken!
Stellt euch vor, was passieren würde, wenn die Kinder in einer ganzen Gesellschaft mit genderneutraler Sprache aufwachsen würden! MINT wäre mit Sicherheit nur noch eine Geschmackssorte und nicht die Summe der Fächer Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik, in der fast keine Frauen zu finden sind.
Doch Studienfächer sind hier so oder so nur ein kleiner Teil des großen Ganzen.
Genderneutrale Sprache ist aber in vielen Länder durch deren Landessprache ohnehin schon gängige Praxis. Hier mal ein persönliches Beispiel aus Japan:
Eine meiner Bekannten hatte seit langem Briefkontakt mit jemandem aus Japan. Sie wusste allerdings nie, ob es sich um einen Brieffreund oder eine Brieffreundin handelte. Denn in Japan gibt es keine Anrede „Herr…“ oder „Frau…“. Sie musste es also auch nie wissen. Genau so können manche Namen an Jungen und Mädchen vergeben werden. Und warum das Ganze?
Es ist in Japan beim Brief- oder E-Mail-Verkehr egal, welches Geschlecht die Gesprächsparteien haben, solange man immer schön höflich bleibt. Und als meine Bekannte den Brieffreund endlich traf, war sie zwar sehr überrascht, dass er ein Mann war, aber sie dachte sich nichts weiter, denn es spielte eben keine Rolle.
Kurzum: Es gibt tatsächlich keine Probleme mit der genderneutralen Sprache in der Praxis.
Warum ist es dann so unvorstellbar für manche, einfach Personalpronomen oder geschlechtsspezifische Bezeichnungen wegzulassen?
Hierbei muss man sich immerhin nichts Neues ausdenken. Man baut auf bereits bestehenden und etablierten Sprachstrukturen auf. Man erfindet das Rad nicht neu, wenn man einfach „Sehr geehrte Leserschaft“, anstatt „Liebe Leserinnen und Leser“ sagt.
Meinen Beitrag sehe ich bereits getan. Lest euch gern noch einmal den bisherigen Kommentar durch und ihr werdet feststellen, dass ich alles genderneutral geschrieben habe.
Und? Ist es jemandem aufgefallen?
Falls ja, dann wird es höchstwahrscheinlich daran gelegen haben, dass man sich an eine gewisse Formulierung erst noch gewöhnen muss. Und das ist auch okay so. Denkt an eure Eltern, die sich mit Wörtern wie „cute“ oder „vibe“ anfreunden müssen. Euch zuliebe, wohlgemerkt!
Anhand der vielen Beispiele aus unserem Leben zeigt sich, dass es sehr sinnvoll ist, gendergerechte Sprache zu verwenden.
Falls dies jedoch für jemanden befremdlich sein sollte, z.B. wegen all der Sonderzeichen, dann ist das überhaupt kein Problem!
Denn noch besser ist die Verwendung von genderneutraler Sprache.
Und das ist keine Frage der Möglichkeit. Es ist einzig und allein eine Frage der Bereitschaft.
Wir sollten genderneutrale Sprache verwenden, da diese ohne irgendwelchen großen Aufwand echte Gleichheit und individuelle Freiheit der Menschen in der Sprache ermöglicht und weil diese nachhaltig unser Denken zum Besseren verändern wird.
Ein informierender Kommentar von Alexander Scheffler
Literaturverzeichnis
1 Wikipedia, Abs. 1, Z. 3, 15.07.20,
https://de.wikipedia.org/wiki/Generisches_Maskulinum
2 Gaschke, Abs. 1, veröffentlicht 31.05.2020, Die Welt, „Mehrheit der Frauen …“, 15.07.20,
3 Bebermeier, veröffentlicht 25.01.2019, „So denken die Deutschen über …“, 15.07.20
4 Vervecken und Hannover, Social Psychology, 46(2), 76–92, „Yes I can! Effects of gender fair job“, 2015
„Die Lehrer versichern euch, dass…“
und die Lehrerinnen tun das nicht 😉 ?
Hallo Armin!
Ja, da ist uns ein kleiner Fehler unterlaufen😅
Natürlich müsste es genderneutral “Die Lehrerschaft” heißen.
Wie du siehst, ist Gendern etwas, das man lernen muss, aber es geht ja nicht ums Perfekt sein, sondern ums Besserwerden, nicht?👍🏼
Wir hoffen trotzdem, dass wir dir das Thema anschaulich näher bringen konnten.
Das richtige Gespür für das generische Maskulinum und Genderbegriffe, scheinst du ja bereits zu haben😉
Viele Grüße
Alexander,
Redaktion der Schülerzeitung
Hey Alexander, als ich noch in Grimma zur Schule ging (und das ist gar nicht so lange her), war gendergerechte Sprache ein absolutes Nischenthema und stand nicht besonders hoch im Kurs: ein elitärer Diskurs von symbollinken Hippstern, die sich lieber solche Probleme erfinden, statt sich um die wichtigen Sachen zu kümmern. Blablabla. Man kennt es ja. Wie schön, dass sich da ein Wandel innerhalb der Schülerschaft abzeichnet. Ich bin mir sicher, dass sich mit einer neuen Generation von Lehrer:innen diese Sprachsensibilität auch stärker im Unterricht und Schulalltag festsetzen wird. Bis dahin muss der Wandel eben von unten kommen. Viele Grüße!