Jubiläumsausgabe! (“Das wird man wohl noch sagen dürfen!“)

von Ingo Klähnhammer

Heuer vor 370 Jahren, also 1650, erschien in Leipzig die erste Tageszeitung der Welt, die „Einkommenden Zeitungen“ des Druckers und Verlegers Timotheus Ritzsch. Diese Urgroßmutter der LVZ wird zwar längst nicht mehr verlegt. Dafür aber 390 andere deutsche Tages- und Wochenzeitungen. Ob sich in 370 Jahren irgendwer an die Online-Ausgabe der Augustiner Blätter erinnern wird, sei dahingestellt. Doch die Bedeutung von gutem Journalismus kann auch im Zeitalter verzweifelt gekläffter „Fake News“-Vorwürfe niemand ernsthaft infrage stellen.

Dass jedoch guter Journalismus schon von sehr jungen Autor*innen und Redakteur*innen gemacht wird, belegen verschiedene Wettbewerbe, wie der sächsische Jugendjournalismuspreis, der Schülerzeitungswettbewerb der Länder, bei dem im vergangen Jahr ein sächsisches Gymnasium einen der ersten Preise erhielt, oder Initiativen von Tageszeitungen, wie das seit 33 Jahren bestehende Format „Jugend schreibt“ der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, bei dem die besten Beiträge der über 2200 jährlichen Teilnehmer*innen in der „erwachsenen“ Print- und Onlineausgabe veröffentlich werden. Mit Unterstützung der Gewerkschaften der Journalisten stellen der Junge Presse Nordrhein-Westfalen e.V. und Jugendpresse Deutschland gar einen bundesweit gültigen Jugendpresseausweis aus. Mehr Anerkennung für die journalistischen Fähigkeiten und Leistungen junger Menschen geht nicht.

Nun sollen die „Augustiner Pages“ nicht von hochgeschraubten Erwartungen erdrückt werden. Es ist jedoch gut, dass unsere Schule nun ein eigenes Organ hat, denn bei einem Organ handelt es sich laut Duden – neben der offensichtlichen biologischen Bedeutung – um eine „Zeitung oder Zeitschrift, in der die offizielle Auffassung, der [politische] Standpunkt“ einer Institution dargestellt wird, sowie umgangssprachlich um eine Stimme. Dabei darf man dies im Zusammenhang nicht mit einem „Sprachrohr“ verwechseln, das quasi propagandistisch und unwidersprochen z.B. ministeriale oder Schulleitungspositionen verlautbart. Auch nicht Auffassungen einzelner Schülergruppen. „Offiziell“ heißt im Schulkontext vielmehr, dass man sich öffentlich, also über die Privatheit des eigenen Freundeskreis und den Simulationscharakter unterrichtlicher Debatten hinaus äußern kann. Eine Schülerzeitung, egal ob herkömmlich in Papierform oder als Onlineformat, ist das Medium, in dem sich Schüler seriös, also in ernst zu nehmender Weise und als ernst zu nehmende Autor*innen, einem zwar begrenzten aber relevanten Publikum „Gehör verschaffen“ können. „Das wird man wohl mal sagen dürfen!“ Ja. Unbedingt. Eine Schülerzeitung – wie jede Zeitung – verleiht den Menschen eine Stimme. Aus eben diesem Grund nennt sich die Magdeburger Tageszeitung „Volksstimme“. Diese Stimme darf aber nie hysterisch-heiser brüllen. Sie kann sich nicht anmaßen, „das Volk“ – oder eben die ganze Schülerschaft zu sein. Ein wichtiges Qualitätskriterium für (Schüler-)Zeitungen ist denn auch die Vielfalt der Standpunkte. Wenn immer nur eine Gruppe sich in der immer gleichen Weise äußert, wird es monoton und monochrom. Erst viele Stimmen erzeugen Polyphonie und machen das Bild bunt.

Im Idealfalle gehen Autor*innen und Leser*innen eine „organische“ Verbindung ein. Dies heißt nach Duden, dass sie eine Einheit bilden und sich harmonisch in ein größeres Ganzes einfügen.

Dann stiften Zeitungen auch Identität und Heimat. Abonnenten von LVZ, FAZ, SZ usw. fühlen sich bei „ihrer“ Zeitung sowohl regional wie ideell „zuhause“. Ein ähnlicher Gedanke führte kurz nach der pandemiebedingten Schulschließung im März zu einer schulischen Initiative, um allen Schüler*innen eine Plattform zum Kontakthalten und Erfahrungsaustausch zu bieten. Das Ergebnis war eine digitale Pinnwand mit heiteren bis ernsten Kategorien. Zur milden Enttäuschung der Initiatoren, fand dieses Angebot keine sonderlich große Resonanz. Die Gründe sind gewiss vielschichtig. Einer war möglicherweise, dass das Projekt „top down“, also von „oben herab“ entstand. Lehrer*innen gaben vor und erteilten gewissermaßen einen Arbeitsauftrag. Vielleicht sind wir an unserer Schule solchen Austausch auf Augenhöhe auch einfach noch nicht gewohnt. Dass dies möglich ist, zeigte sich gleichwohl bei einem Projekt im Rahmen eines von der Bundesregierung und der Kultusministerkonferenz veranstalteten Hackathons #wirfuerschule, an dem sich auch ein kleines Team aus zwei Lehrer*innen und zwei Schülern beteiligten. Ist vielleicht alles eine Übungs- und Gewohnheitsfrage. In der Zukunftswerkstatt betreiben derzeit Schüler*innen, Lehrer*innen und Eltern dieses gemeinsam, um unsere Schule auf dem Weg zu einem sinnstiftenden Lern- und Lebensort ein weiteres Stück voran zu bringen. Auch in der Initiative „Deine Idee – Deine Schule – Deine Entscheidung“ arbeiten Pädagog*innen und Schüler*innen zusammen an diesem Ziel. Eine Schülerzeitung ist da ein folgerichtiger Baustein im schulischen community building.

Eine Schülerzeitung kann also in erster Linie auch wesentlich zur Selbstverständigung der Akteure beitragen: Wer sind wir, was wollen wir – und wohin und wie? Und so liegen die Themen für eine eigene Schülerzeitung auf der Hand: schulische, künstlerische und sportliche Leistungen, prägende Ereignisse, Schülerinitiativen, Projekte und Probleme, aber auch außerschulische Gegenstände. Man muss, wie gesagt, nicht bei allen Themen übereinstimmen. Manchmal wird’s umso spannender. Tatsächlich bringen – auch harte – konstruktive Auseinandersetzungen Menschen einander oft näher. Mindestens aber gilt: Solange wir übereinstimmen können, dass wir nicht übereinstimmen, bewegen wir uns im zivilisierten Rahmen. Eine Schülerzeitung bietet für all dies einen idealen Rahmen und stellt damit auch einen wichtigen Baustein der Demokratiebildung dar. Denn ja: Man darf innerhalb der Regeln eine ganze Menge sagen. Wie der bedeutende Physiker Stephen Hawking einmal in einem Werbespot der British Telecom sagte: „All we need to do is make sure that we keep talking.”

(Und übrigens: In den USA ist die Schülerzeitung ein eigenes Schulfach. Und oft ein echtes Karrieresprungbrett. Watch this scene from Gilmore Girls. Disclaimer: #so90s !)

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